Hans Orsolics: Boxer, Wirt & Sänger

Von Neudorf nach Wien

Johann „Hans“ Orsolics, geb. am 14. Mai 1947 in Wien, stammt aus armen Verhältnissen. Seine Familie - die Eltern Johann und Aloisia Orsolics und seine drei Geschwistern - lebte in Neuberg (Nr. 104), danach in Kaisermühlen (22. Bezirk) und schließlich in einer kleinen Ein-Zimmer-Hausmeisterwohnung in Ottakring (16. Bezirk). Nach der Hauptschule begann er eine Lehre zum Rauchfangkehrer, die er als Geselle abschloss.

Boxkarriere

Hans Orsolics begann mit 12 Jahren zu boxen und wurde mit 16 zum österreichischen Jugendmeister. Vom Boxtrainer Karl Marchart wurde er für den Sport entdeckt und startete seine Profikarriere am 30. Juli 1965 mit 18 Jahren (im Märzring) mit einem k.o-Sieg in der ersten Runde über Mario Batzu. 

 

Am 6. Juni 1967 boxte er um den Europameistertitel der Europäischen Box Union (EBU) im Halbweltergewicht und gewann den Titel vor rund 9.000 Zuschauern in der Wiener Stadthalle durch Punktesieg gegen den Deutschen Conny Rudhof. Mit erst knapp 20 Jahren war er damit der bis dahin jüngste europäische Titelträger und holte damit erstmals nach 17 Jahren nach Joschi Weidinger wieder einen Titel nach Österreich. 

Hans Orsolics im Gespräch mit dem Wiener Bürgermeister Bruno Marek (1900-1991; Bgm. von 1965-1970), 1967

 Am 25. September 1969 gewann er durch K. o. in der vierten Runde gegen den Franzosen Jean Josselin und war damit erneut Europameister, diesmal im Weltergewicht. Er verteidigte seinen Titel am 26. Jänner 1970 vorzeitig gegen den Deutschen Meister Klaus Klein und am 9. April 1970 gegen den späteren WBA- und WBC-Weltmeister Carmelo Bossi. Sein Sieg gegen Josselin, der in seinen bisherigen 65 Profikämpfen noch nie vorzeitig verloren hatte, sowie seine beiden Titelverteidigungen gegen Spitzenboxer brachten Orsolics an die Spitze der Weltrangliste und eröffneten ihm die Chance auf einen Weltmeisterschaftskampf gegen José Nápoles.

 

Obwohl dieser Kampf bereits weitgehend ausverhandelt und für den 20. November 1970 in Wien geplant war, entschloss sich Orsolics’ Management, vorher noch einen Testkampf gegen den weithin gefürchteten und von vielen Spitzenboxern gemiedenen US-amerikanischen Ex-Weltmeister Eddie Perkins durchzuführen. Dieser letztlich völlig überflüssige Kampf endete am 3. September 1970 mit einer schweren K.-o.-Niederlage Orsolics’ in der vierten Runde, die alle WM-Pläne zunichte machte und zum Wendepunkt seiner Karriere werden sollte. Denn nur zweieinhalb Monate später – und von der Niederlage gegen Perkins noch nicht erholt – verlor er am 20. November 1970 trotz guter Leistung auch seinen EM-Titel gegen den Engländer Ralph Charles durch eine K.-o.-Niederlage in der zwölften Runde. 

Drei Versuche, den Titel – diesmal im Halbmittelgewicht – zurückzugewinnen, scheiterten in den folgenden Jahren. Am 15. März 1973 verlor er gegen den Italiener Juan Carlos Durán umstritten nach Punkten. Am 1. Februar 1974 endete der Kampf gegen den Franzosen Jacques Kechichian mit einer Abbruchniederlage in der neunten Runde. Eine weitere Niederlage gegen José Manuel Durán am 5. November 1974 bedeutete schließlich auch das Ende von Orsolics’ Boxkarriere.

 

Seine enorme Popularität, sorgte mehrmals für eine restlos ausverkaufte Wiener Stadthalle und sensationelle Einschaltquoten bei den TV-Übertragungen seiner Kämpfe. Umgekehrt trug die endgültige Etablierung des Fernsehens als Massenmedium in Österreich auch ihren Teil zur Popularität Orsolics’ bei, hatte es doch vorher kaum TV-Übertragungen von Boxkämpfen – noch dazu mit österreichischer Beteiligung – gegeben. 

 

Sozialer Abstieg

Nach dem Ende seiner Boxkarriere war Hans Orsolics erst 28 Jahre alt. Fehlentscheidungen, mangelnde Erfahrung, zunehmende Alkoholabhängigkeit und falsche Freunde brachten ihn um seine erboxten Millionen. 

 

Zunächst versuchte er einen Einstieg in die Gastronomie und eröffnete in der Goldschlagstraße 79 in Rudolfsheim-Fünfhaus (15. Bezirk) sein Gasthaus „Zum Rauchfangkehrer“ mit dem er jedoch in die Insolvenz schlitterte. 

 

Hinzu kam, dass er immer öfter in Raufereien verwickelt war (häufig nach Provokationen und/oder unter Alkoholeinfluss). Insgesamt wurde er 14-mal verurteilt und verbrachte 846 Tage im Gefängnis. Orsolics, der auch massive psychische Probleme hatte, war schließlich gezwungen, von Sozialhilfe zu leben und wurde nur durch eine Wohnmöglichkeit im Hause seines Vaters im Burgenland vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Seine früheren „Freunde“ hatten jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Zurück blieb ein Schuldenberg.

Gasthaus in der Goldschlagstraße 79

Sigi Bergmann & Hans Orsolics


Eine Art Comeback

Wende brachte 1986 eine vom ORF-Sportmoderator und Boxexperten Sigi Bergmann gestaltete Dokumentation, in der Orsolics’ große Erfolge seiner damaligen tristen Situation gegenübergestellt wurden und die eine Vielzahl von Reaktionen sowie eine Welle der Hilfsbereitschaft auslöste. 

 

Am erfolgreichsten erwies sich dabei das Angebot des Wiener Liedermachers Charly Kriechbaum, der Orsolics einen unter dem Eindruck der TV-Dokumentation verfassten Song zur Verfügung stellte, der die Situation des Exboxers genau beschrieb und in dem Refrain „I hob valuan, wie nur ana valiern kann, der a Herz statt an Hirn hat“ („Ich habe verloren, wie nur einer verlieren kann, der ein Herz statt eines Hirns hat“) auf den Punkt brachte. 

 

Die daraus resultierende Single "Mei potschertes Leben" („Mein ungeschicktes Leben“) wurde trotz oder gerade wegen Orsolics’ mangelnder gesanglicher Fähigkeiten ob ihrer Authentizität zu einer Art Kultplatte, erreichte den Spitzenplatz der österreichischen Hitparade (3 Wochen auf Platz 1 der Ö3-Hitparade) und war insgesamt derart lukrativ, dass es Orsolics gelang – zusammen mit den Erträgen aus Liveauftritten in Diskotheken etc., sowie einer nachfolgenden LP Come Back – einen Großteil seiner Schulden abzuzahlen.

Hans Orsolics mit Charly Kriechbaum (re).

Sigi Bergmann, mit dem er seit etwa seinem 20. Lebensjahr befreundet ist, vermittelte ihm Ende der 1980er Jahre einen Job als Lagerarbeiter in der ORF-Hausdruckerei, wo er trotz Vollinvalidität bis zu seiner Krebskrankheit 2009 arbeitete. Hans Orsolics machte erfolgreich einen Alkoholentzug und bekämpfte unter ärztlicher Behandlung seine psychischen Probleme (Stimmenhören, Paranoia- und Eifersuchtsattacken). Geholfen hat ihm dabei eine neue Ehe, wodurch für Orsolics sein persönliches „Comeback“ perfekt wurde.

 

Hans Orsolics hat eine Tochter und lebt mit seiner zweiten Ehefrau Roswitha in einer kleinen Gemeindebauwohnung in Meidling (12. Bezirk). Neben seiner Frau kümmert sich seine Schwester Erika – eine von drei Geschwistern – um ihn.

 

In der ewigen Europarangliste nimmt er Platz 6 ein, in der ewigen Weltrangliste Platz 43.

 

Verewigt in Büchern & und einem Theaterstück:

  • Sigi Bergmann: Orsolics Hansi K.o. Triumphe und Leiden eines Boxers. Seifert, 2. Aufl., Wien 2007, ISBN 3-902406-25-9.
  • Anna Pfabl: Hans Orsolics - Der Profiboxer. Götz, Dörfles 2010, ISBN 978-3-902625-18-2.
  • Im Theaterstück Der Boxer oder Die zweite Luft des Hans Orsolics setzt sich der Schriftsteller Franzobel künstlerisch mit dem Aufstieg und Fall des Hans Orsolics auseinander. Er konzentriert sich dabei auf die Zeit zwischen 1965 und 1986 konzentriert. Am 19. Februar 2011 wurde das Stück im Wiener Kasino am Schwarzenbergplatz des Burgtheaters mit Johannes Krisch in der Hauptrolle auf die Bühne gebracht.

Johannes Krisch in "Der Boxer oder Die zweite Luft des Hans Orsolics" von Franzobel

Im Museum

Auf Initiative von Museumsleiterin Mag. Brigitte Neichl, der Mithilfe von Rita & Dr. Reinhard Blauensteiner und nicht zuletzt dank der großzügigen Unterstützung von Dr. Sigi Bergmann war Hans Orsolics am 13. März 2016 Ehrengast bei der Eröffnung der Ausstellung „Sport & Spiel in Rudolfsheim-Fünfhaus“ zum Tag der Bezirksmuseen, wo ihm auch eine Vitrine gewidmet war.

v.l.n.r.: Sigi Bergmann, Brigitte Neichl, Hans Orsolics
v.l.n.r.: Sigi Bergmann, Brigitte Neichl, Hans Orsolics